Daniel Düsentriebs Dienstwagen Sie ist einfacher, effizienter und verbrennt nahezu jeden Kraftstoff: In der Theorie ist die Gasturbine jedem Hubkolben-Motor überlegen. Vor gut 50 Jahren hat sie es deshalb bei Chrysler tatsächlich ins Auto geschafft. Zwar gab es damals vom „Turbine Car“ nur eine Kleinserie, und danach war die Idee schnell wieder vom Tisch. Doch so ganz vergessen ist der Turbinen-Antrieb noch nicht. Walt Disney ein Daniel Düsentrieb so ziemlich alles zum Laufen bringt, nach den Feuersteins plötzlich die „Jetsons“ über die Mattscheibe flimmern und in den Forschungsabteilungen die Träume von Mondlandfähren und Überschallflugzeugen Gestalt annehmen, wirkt der klassische Verbrennungsmotor in etwa so fortschrittlich wie die Dampfmaschine. Das Urteil des „Spiegel“ lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen: „Trotz jahrzehntelanger Verfeinerungsarbeit ist der Kolbenmotor des heutigen Automobils ein umständlicher und komplizierter Apparat geblieben. Er beansprucht viel Platz, bedarf sorgfältiger Wartung, läuft nur mit hochwertigen Kraftstoffen und ist dennoch ein schlechter Kraftstoff-Verwerter: Der Wirkungsgrad des Kolbenmotors - das Verhältnis von zugeführter und ausgewerteter Energie - liegt zwischen 25 und 33 Prozent“, urteilen die Hamburger Journalisten am 13. Dezember 1961 und schwärmen stattdessen von einem Antrieb, der über 40 Prozent Wirkungsgrad erreicht, weniger bewegliche Teile hat, nur ein Drittel des Bauraums beansprucht, nahezu jeden Kraftstoff verarbeitet und spärlicher Wartung bedarf: Der Gasturbine. In Schiffen und natürlich im Flugzeug hat die Turbine da längst großflächig Einzug gehalten, doch die Straße gehört dem Hubkolben-Motor. Allerdings gibt es in Europa und vor allem in den USA bereits seit den 1950er Jahren Versuche, den Turbinen-Motor ins Auto zu bringen. Denn in Zeiten, in denen bei Am meisten Beachtung finden anfangs die Prototypen von General Motors – spektakuläre Showcars im Science-Fiction-Look, die mit Geschwindigkeiten von teilweise mehr als 500 km/h die Nähe zum Düsenflugzeug und die Überlegenheit der Technologie demonstrieren. Doch das größte Engagement zeigt Chrysler. Nach einem Auftrag der US Navy für den Bau eines Düsentriebwerks 1945 lässt die Ingenieure die Idee vom automobilen Einsatz nicht mehr los und immer wieder bauen sie entsprechende Prototypen. Das Programm gipfelt 1963 im „Turbine Car“, einem atemberaubend schönen Coupé, das in Italien gebaut und in Detroit mit einer Gasturbine bestückt wird. Zwischen 50 und 75 Autos wollen die Amerikaner produzieren, um damit im Feldtest endgültig die Überlegenheit der Technologie zu demonstrieren. Im Bug steckt dabei die vierte Generation der Chrysler-Gasturbine. Sie erreichte an der Antriebswelle eine Leistung von 96 kW/130 PS bei 36.000/min und kam auf ein maximales Drehmoment von 576 Nm, mit dem das in „Turbine Bronze“ lackierte Coupé in zwölf Sekunden auf Tempo 100 beschleunigte. Folgt man aus den vielen technischen Dokumentationen dem aktuellen Wikipedia-Eintrag, dann bestand die Turbine aus einem einstufigen Radialverdichter, einer Brennkammer und einer zweistufigen Axialturbine, deren erste Stufe den Verdichter antrieb. Die mechanisch getrennte zweite Stufe war über ein Untersetzungsgetriebe direkt mit einem serienmäßigen Chrys- 56 Ausgabe 1/2021
ler-"TorqueFlite"-Automatikgetriebe verbunden, ohne dass es eines hydraulischen Drehmomentwandlers bedurfte. Zur Anpassung an Lastzustände und zur Vermeidung zu hoher Drehzahlen bei Motorbremsung waren die Leitschaufeln der zweiten Turbinenstufe verstellbar. Zwei rotierende Gegenstrom-Wärmetauscher gewannen Wärme aus den Abgasen zurück und erhitzten die verdichtete Luft vor der Verbrennung, was den Treibstoffverbrauch stark reduzierte. Knapp 50 Coupés hat Chrysler ab 1963 tatsächlich für jeweils drei Monate 203 Bürgern überlassen, die aus mehr als 30 000 Bewerbern ausgewählt wurde. Die Piloten dieser Jet-Cars genossen den seidenweichen Lauf und das imposante „Whoosh“ der Gasturbine, das handgearbeitete Interieur und den Drehzahlmesser mit einer Skala bis 60 000 Touren. Und die Fahrer sonnten sich in den neidischen Blicken der Nachbarn, wenn das Coupé mit dem Raketen-Heck in der heimischen Auffahrt parkte. Denn mehr noch als heute Autos ein BM i3 oder ein VW XL1 waren die Turbine Cars damals die Popstars der Straße. Binnen 2,5 Jahren legen die Testwagen knapp zwei Millionen Kilometer zurück und erweisen sich als ausgesprochen zuverlässig. Nur der Verbrauch macht den Ingenieuren sorgen. Zwar lässt sich die Turbine mit jedem Treibstoff von Pflanzenöl bis Kerosin befeuern, und der mexikanische Präsident tankt sogar medienwirksam Tequila. Doch Mittelwerte von17 Liter auf 100 Kilometer sind auch Mitte der 1960er zu viel. Dazu kommt der hohe Stickoxid-Ausstoß (NOx) des Aggregats, der kaum in Einklang zu bringen war mit den Umweltvorgaben, die von der US-Regierung zu jener Zeit vorbereitet wurden. Und es gab noch ein Problem, das den Siegeszug des Jet Cars verhinderte: Die Serienproduktion des Turbinenantriebs wäre einfach zu teuer und aufwendig gewesen. „Gasturbinen für Autos sind noch nie in solch großen Zahlen produziert worden“, schrieb Chrysler-Ingenieur George Huebner, „dafür müsste man die vorhandenen Produktionstechniken ersetzen“. All diese Herausforderungen waren für Chrysler offenbar eine Nummer zu groß, zumal die Bevölkerung auf die neue Technik vergleichsweise skeptisch und zurückhaltend reagiert hat. Und als der kleinste der drei großen US-Hersteller dann auch noch in finanzielle Schräglage geriet, war es ganz vorbei. Denn eine Bedingung für die Staatsbürgschaft zur Rettung des Unternehmens war der Stopp der Turbinenherstellung, weil diese als wirtschaftlich zu großes Risiko erachtet wurde. Zwar gilt das Turbine Car über 50 Jahre nach seiner Jungfernfahrt deshalb als prominenter Irrweg, wenngleich die neun verbliebenen Prototypen mittlerweile millionenschwere Sammlerstücke sind. Doch die Idee vom Turbinenantrieb fürs Auto ist noch immer virulent. Nicht bei Chrylser, wo selbst das Messeauto auf Basis des Chrylser 300C zum 50. Geburtstag des Turbine Car mit einem konventionellen Benziner ausgestattet war. Dafür aber zum Beispiel im Jaguar C-X75, den die Briten 2012 als technologischen Leuchtturm zum 75 Geburtstag ihrer Marke mit zwei jeweils 70 kW starken Gas-Turbinen vorgestellt haben, die an Bord den Strom für vier elektrischen Radnabenmotoren erzeugen sollten. Mit 60 Litern im Tank sollte der Protoptyp fast 900 Kilometer weit fahren und dabei Geschwindigkeiten bis 330 km/h erreichen. Doch so richtig gezündet hat die Turbine auch da noch nicht: Denn die geplante Kleinserie wollten Briten dann doch lieber mit einem Otto-Motor antrieben – bevor sie das Projekt wegen der anhaltenden Finanzkrise gleich ganz eingestampft haben. Ausgabe 1/2021 57
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